Pfingstrosen im September by Camille Noe Pagan

Autor:Camille Noe Pagan [Pagan, Camille Noe]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-06-16T10:31:30+00:00

20

Am kommenden Dienstagnachmittag ertappe ich mich zu meiner Überraschung dabei, dass ich mich tatsächlich aufs Training freue – insbesondere deshalb, weil es bedeutet, dass ich mich früher aus der Redaktion abseilen kann. Während Naomi und ich mit der U 6 nach Norden in die Bronx fahren, wo sich die Schule der teilnehmenden Mädchen befindet, werfe ich einen Blick ins Lehrmaterial und stelle fest, dass die heutige Lektion das Thema Schikane behandelt. Ich muss sofort an die hübsche, aufdringliche Josie denken und schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihr ein Licht aufgehen möge.

Als wir in die Turnhalle kommen, begrüßen mich die Mädchen, als wäre ich Hannah Montana höchstpersönlich.

»He, Marissa«, ruft Charity begeistert und schlingt mir die Arme um die Taille.

»Laufen Sie heute wieder mit uns?«, fragt Lisa aufgeregt. »Das hat Beverly nie getan.«

»Wirklich nicht?«, erkundige ich mich. Ich habe gedacht, dass das Laufen Pflicht ist. Sonst hätte ich mir die anstrengenden Runden um die Turnhalle, die ich letzte Woche mit den Mädchen absolviert habe, nämlich erspart.

»Nein«, antwortet Lisa kopfschüttelnd. »Kein einziges Mal.« Ihr enttäuschter Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass ich heute und jede zukünftige Trainingsstunde werde mitlaufen müssen. Verdammt.

»Marissa ist viel besser als Beverly«, verkündet ein Mädchen namens Anna, das sein krauses schwarzes Haar zu fünf Pferdeschwänzen gebunden hat.

»Absolut«, stimmt Margarita zu.

Ich bin nicht sicher, was ich von dieser neuen Entwicklung halten soll, und beäuge die Mädchen argwöhnisch, um herauszufinden, ob sie mich auf den Arm nehmen wollen. Aber falls mir nichts entgangen ist, meinen sie es tatsächlich ernst.

»Sie mussten sich nur erst an den Gedanken gewöhnen, dass sie jetzt eine neue Trainerin haben«, erklärt Naomi, während wir das Unterrichtsmaterial aus unserer Kiste kramen. »Jetzt wollen sie alle deine beste Freundin sein.«

Sehr gut, denn ich könnte gerade wirklich eine gebrauchen, denke ich. »Wahrscheinlich weil ich eine komische Erwachsene bin, die genauso groß ist wie sie.«

»Piper ist sogar ein Stück größer als du«, erwidert Naomi mit einem spitzbübischen Grinsen.

Ich drohe ihr mit dem Finger. »Aber, aber, Naomi. Heute geht es um Schikanen. Du willst doch wohl niemanden schikanieren, oder?«

»Neeeein«, entgegnet sie mit todernster Miene und fängt an zu lachen.

Als heutige Aufwärmübung bekommt jedes Mädchen einen rosafarbenen oder grünen Aufkleber. Dann legen wir einen Gummiball in der Mitte der Turnhalle auf den Boden. »Ihr müsst verhindern, dass jemand mit einem rosa Aufkleber an den Ball herankommt«, erklärt Alanna den Mädchen. »Deshalb dürfen die Spielerinnen mit dem grünen Aufkleber ihn nur anderen aus ihrem Team zuwerfen. Wenn eine aus dem grünen Team den Ball an eine aus dem rosa Team abgibt, muss sie an den Rand.« Josie, Anna und Renee sind rosa. Zu meiner Erleichterung gehört Estrella zu den neun Grünen.

Ich habe angenommen, dass die Mädchen, von denen die meisten viel frühreifer sind, als ich es in ihrem Alter war, das Spiel langweilig finden. Doch sie tollen lachend und ausgelassen herum. Selbst diejenigen, die ausscheiden müssen, scheinen ihren Spaß zu haben.

Nachdem fast alle Grünen am Rand gelandet sind, holen Naomi, Alanna und ich uns einen Ball und fordern die Mädchen auf, uns zuzuschauen. Ich stehe in der Mitte, Naomi und Alanna rechts und links von mir.

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